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Mittwoch, 5. Mai 2004

Henry Ping, ein Mann aus Köln.

henryping Dies ist die Geschichte von Henry Ping, dem kleinen Eistaucher von Köln. Ein Mann, um dessen Geschichte kein Kölnreisender herumkommt. Henry Ping ist Kölner Geschichte und seine Geschichte geht so: Henry Ping wuchs am Rande von Köln auf. Dort, wo der große Dom nur noch ganz klein an Horizont zu erkennen ist. Dort, wo auf dem kleinen Weiher die Kinder der Fabrikarbeiter Schlittschuh liefen und jeden Sonntag im Januar eine Eiskunstlaufmeistersschaft veranstalteten. Dieser kleine Weiher - er war nicht größer als eine Ein-Zimmer-Wohnung - dieser kleine Weiher war der Lebensmittelpunkt von Henry Ping. Jeden Morgen begleitete er seinen Vater zur Arbeit an das Ufer des kleinen Teiches. Jeden Morgen schlüpfte Henry´s Vater in seinen dunklen Gummianzug, setzte die verglaste Taucherbrille auf, küsste seinen Sohn auf die Stirn und verabschiedete sich mit den Worte "Mach´s gut, Henry", bevor er in einem kleinen Eisloch verschwand und nicht vor Abend wiederkehrte. Henry Ping´s Vater war Pinguintaucher. Er macht jeden Winter Jagd auf frische Pinguine. Henry wusste damals noch nicht, dass es in Köln keine Pinguine gab. Wie denn auch, er war noch zu klein. Und so verlebte Henry Ping seine ganze Kindheit im festen Glauben an seinen Vater und dem Respekt, der Henry zu einem stolzen Sohn und seinen Vater zu einem gottähnlichen Wesen machte. Henry Ping ist heute 63 Jahre alt und lebt zurückgezogen an einem kleinen Weiher in Ciudad Bolivar, Venezuela.

Montag, 26. April 2004

Vorbereitung auf den Dreh der 5. Szene.

Ansprache-Mikat-1965

Dr. Jarko Mell, der ausführende Produzent, unterhält sich mit der Regie-Assistentin Sana Niebert. Er kritisiert das mangelnde Talent der Schauspielerin Döhrenstepp. Döhrenstepp hat die Rolle über ein Preisauschreiben gewonnen.

Dr. Mell flüstert. Er will nicht, dass Döhrenstepp mithört: "Wissen Sie, Frau Niebert, ich habe schon viele Filme über Preisauschreiben besetzt, aber nie habe ich eine so untalentierte Schauspielerin wie die Döhrenstepp engagieren müssen. Haben Sie die gestrige Szene noch in Erinnerung? Döhrenstepp sollte diesen Ansprache halten. Die Szene, in der sie als Anführerin des Bienenvolkes die neue Verfassung ausruft. Ursprünglich eine erhebende Szene. Aber ihre Darbietung? Verheerend. Dabei haben wir ihr den Text extra etwas leichter geschrieben. Kennen Sie eigentlich den originalen Text dieser Szene? Er war brillant. Er ging in etwa so ..."

Dr. Mell tritt einen Schritt zurück, hält sich die Hände vors Gesicht, reißt sie mit einem Ruck wieder weg und beginnt mit tragender Stimme die Szene des Vortages zu spielen, und zwar genau so, wie sie vom Drehbuchautor eigentlich vorgesehen war. Frau Niebert starrt gebannt auf Dr. Mell, den sie plötzlich nicht mehr wiedererkennt.

Dr. Mell spricht mit der Stimme einer Bienenanführerin: "Ich komme nun zu Artikel 4, der diesen Namen bekommen hat, um etwas an Authorität zu gewinnen und im Rahmen der hier wiedergegebenen Erzählungen eine herausragende Postion zu bekommen. Artikel 4 klingt sehr vernünftig und kann sicher mit seinen berühmten Namenskollegen in diversen Flüchtlingskonventionen und Bundesverfassungen mithalten. Artikel 4 besagt, dass es unter den Bienen Australiens einen alten und nicht nur deshalb sehr beeindruckenden Brauch gibt. Wann immer eine Biene zur Welt kommt, wird sie gleich in den ersten Augenblicken ihres Lebens von allen Stammesmitgliedern herumgereicht und mit einem Satz begrüßt: „Wir lieben dich und wir werden dir auf deiner Reise beistehen.“ Alles ist eine Reise. Und selbst der, der sein irdisches Leben lang still sitzt, macht eine Reise. Durch sich selbst. Durch die Zeit, die er still sitzt. Durch die Bienen, die ihm begegnen.
Noch beeindruckender finde ich den Satz, mit dem Bienen ihre Toten verabschieden: „Wir lieben dich und wir werden dir auf deiner Reise beistehen.“ Der irdische Tod ist ein Bahnhof, an dem man umsteigt. In einen anderen Zug. Es gibt gar keine Endstation. Der Tod ist ein Verkehrsknotenpunkt. Der Tod ist der Verteilerkreis Favoriten. Eine gute Idee, nicht wahr?"
Dr. Mell setzt kurz ab und wartet den Applaus von tausenden Komparsen ab, der an dieser Stelle vorgesehen war.
Nach ein paar Augenblicken fährt er fort:
"Es gibt unter den Bienen Australiens noch viele gute Ideen, von denen die meisten Wert wären, in Artikel 4 aufgenommen zu werden. Ich beschränke mich aber auf einen weiteren Gedanken, der ein guter Wegweiser für diejenigen ist, die diese Verfassung in ihrem Herzen tragen wollen: Für Bienen gibt es sieben Himmelsrichtungen. Norden, Süden, Osten, Westen, Oben, Unten und nach Innen."

Dr. Mell versteckt sein Gesicht wieder hinter seinen Händen, die sich wie ein Vorhang vor ihm zusammenfalten. Frau Niebert weiß sich nicht anders zu helfen und beginnt zu klatschen, merkt aber im selben Augenblick, wie lächerlich sie sich macht. Dr. Mell lächelt. Wie gern hätte er selbst an dem Preisauschreiben teilgenommen. Mitarbeitern war die Teilnahme aber von Rechts wegen her untersagt. Dr. Mell hält sich an die Gesetze.

"Ruhe!", ruft der Regisseur. "Frau Niebert? Hierher, wir fangen an! Ton und Video ab, Achtung! Kamera!" Während sich wieder alles auf Döhrenstepp konzentriert, verlässt Dr. Mell mit einem Achselzucken das Studio. "Action ...", murmelt er als er die Tür ins Schloss fallen lässt.

Tobias Federsel

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tobiasfedersel - 6. Jan, 01:16
bin ganz von den socken,...
dass der tobi so gut singen kann! laß doch die werbung...
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