Montag, 26. April 2004

Vorbereitung auf den Dreh der 5. Szene.

Ansprache-Mikat-1965

Dr. Jarko Mell, der ausführende Produzent, unterhält sich mit der Regie-Assistentin Sana Niebert. Er kritisiert das mangelnde Talent der Schauspielerin Döhrenstepp. Döhrenstepp hat die Rolle über ein Preisauschreiben gewonnen.

Dr. Mell flüstert. Er will nicht, dass Döhrenstepp mithört: "Wissen Sie, Frau Niebert, ich habe schon viele Filme über Preisauschreiben besetzt, aber nie habe ich eine so untalentierte Schauspielerin wie die Döhrenstepp engagieren müssen. Haben Sie die gestrige Szene noch in Erinnerung? Döhrenstepp sollte diesen Ansprache halten. Die Szene, in der sie als Anführerin des Bienenvolkes die neue Verfassung ausruft. Ursprünglich eine erhebende Szene. Aber ihre Darbietung? Verheerend. Dabei haben wir ihr den Text extra etwas leichter geschrieben. Kennen Sie eigentlich den originalen Text dieser Szene? Er war brillant. Er ging in etwa so ..."

Dr. Mell tritt einen Schritt zurück, hält sich die Hände vors Gesicht, reißt sie mit einem Ruck wieder weg und beginnt mit tragender Stimme die Szene des Vortages zu spielen, und zwar genau so, wie sie vom Drehbuchautor eigentlich vorgesehen war. Frau Niebert starrt gebannt auf Dr. Mell, den sie plötzlich nicht mehr wiedererkennt.

Dr. Mell spricht mit der Stimme einer Bienenanführerin: "Ich komme nun zu Artikel 4, der diesen Namen bekommen hat, um etwas an Authorität zu gewinnen und im Rahmen der hier wiedergegebenen Erzählungen eine herausragende Postion zu bekommen. Artikel 4 klingt sehr vernünftig und kann sicher mit seinen berühmten Namenskollegen in diversen Flüchtlingskonventionen und Bundesverfassungen mithalten. Artikel 4 besagt, dass es unter den Bienen Australiens einen alten und nicht nur deshalb sehr beeindruckenden Brauch gibt. Wann immer eine Biene zur Welt kommt, wird sie gleich in den ersten Augenblicken ihres Lebens von allen Stammesmitgliedern herumgereicht und mit einem Satz begrüßt: „Wir lieben dich und wir werden dir auf deiner Reise beistehen.“ Alles ist eine Reise. Und selbst der, der sein irdisches Leben lang still sitzt, macht eine Reise. Durch sich selbst. Durch die Zeit, die er still sitzt. Durch die Bienen, die ihm begegnen.
Noch beeindruckender finde ich den Satz, mit dem Bienen ihre Toten verabschieden: „Wir lieben dich und wir werden dir auf deiner Reise beistehen.“ Der irdische Tod ist ein Bahnhof, an dem man umsteigt. In einen anderen Zug. Es gibt gar keine Endstation. Der Tod ist ein Verkehrsknotenpunkt. Der Tod ist der Verteilerkreis Favoriten. Eine gute Idee, nicht wahr?"
Dr. Mell setzt kurz ab und wartet den Applaus von tausenden Komparsen ab, der an dieser Stelle vorgesehen war.
Nach ein paar Augenblicken fährt er fort:
"Es gibt unter den Bienen Australiens noch viele gute Ideen, von denen die meisten Wert wären, in Artikel 4 aufgenommen zu werden. Ich beschränke mich aber auf einen weiteren Gedanken, der ein guter Wegweiser für diejenigen ist, die diese Verfassung in ihrem Herzen tragen wollen: Für Bienen gibt es sieben Himmelsrichtungen. Norden, Süden, Osten, Westen, Oben, Unten und nach Innen."

Dr. Mell versteckt sein Gesicht wieder hinter seinen Händen, die sich wie ein Vorhang vor ihm zusammenfalten. Frau Niebert weiß sich nicht anders zu helfen und beginnt zu klatschen, merkt aber im selben Augenblick, wie lächerlich sie sich macht. Dr. Mell lächelt. Wie gern hätte er selbst an dem Preisauschreiben teilgenommen. Mitarbeitern war die Teilnahme aber von Rechts wegen her untersagt. Dr. Mell hält sich an die Gesetze.

"Ruhe!", ruft der Regisseur. "Frau Niebert? Hierher, wir fangen an! Ton und Video ab, Achtung! Kamera!" Während sich wieder alles auf Döhrenstepp konzentriert, verlässt Dr. Mell mit einem Achselzucken das Studio. "Action ...", murmelt er als er die Tür ins Schloss fallen lässt.

Freitag, 23. April 2004

Danke, Tigerente.

tigerente2

Vor vielen Jahren habe ich in Panama eine Tigerente gebastelt und sie mit nach Österreich genommen, wo sie jetzt lebt und arbeitet und eigentlich zufrieden ist. Sie denkt trotzdem noch oft an ihre Heimat, sagt es aber nicht. Ich glaube, sie will nicht undankbar wirken. Aber ich sehe es ihr an. Manchmal sitzt sie vor dem Fenster, blickt auf die Fassade des gegenüberliegenden Hauses und hat dieses kleine Lächeln in ihrem Gesicht. Ich glaube, in diesen Momenten ziehen an ihr Bilder von Stränden und Palmenhainen vorbei. Sie kann dann Mangobäume riechen und spürt die staubige Schotterstraße unter ihren Rädern. Wenn sie könnte, würde sie in diesen Momenten nicken, doch das kann sie nicht. Sie ist ja aus einem einzigen Stück Holz. Einmal hat sie mir, nachdem sie wieder minutenlang vor dem Fenster gestanden ist, von einem Giacomo Graf Leopardi erzählt, der gesagt haben soll: "Ich habe geweint, weil ich keine Schuhe hatte, bis ich einen traf, der keine Füße hatte." Dabei hat sie auf ihre Räder gesehen. Sie ist wirklich klug.

Gestritten haben wir noch nie wirklich. Obwohl ich einmal mit ihr geschimpft habe, weil sie unvorsichtigerweise mit ihren Holzrädern zu nahe an die Herdplatte gefahren ist. Eigentlich wollte sie nur nach den Spaghetti sehen. Und ich hab sie angeschrien. Ich hatte Angst um sie. Dann habe ich mich entschuldigt. Tausendmal. Ich habe geweint. Sie gedrückt. Sie hat auch geweint. War geschockt. Und sie hat es nie vergessen. vielleicht kocht sie deshalb nicht mehr mit mir. Sicher sogar. Letzten Sonntag haben wir ihre Streifen nachgezogen. Mit einem dicken schwarzen Edding habe ich sie von oben bis unten wieder wunderschön nachgetigert. Dabei haben wir Manu Chao gelauscht und uns angelächelt. Ich habe sie wirklich sehr gern.

Tobias Federsel

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Danke Marko für die Technik. Danke Moehau, Jonathan,...
tobiasfedersel - 6. Jan, 01:16
bin ganz von den socken,...
dass der tobi so gut singen kann! laß doch die werbung...
mania (Gast) - 5. Jan, 20:12

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