Donnerstag, 19. Juni 2008

Kamikaze Kamel

Mittwoch, 27. Dezember 2006

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Sonntag, 15. August 2004

Mann und Frau Molch.



"Als ich noch jung war, habe ich ein Ferialpraktikum in einem moldawischen Schotterteich absolviert", erzählt der Rotbarsch. "Ich musste drei Monate lang jeden Morgen Schneckenrücken putzen. Nicht die Häuser, sondern eben die Rücken. Ganz schön schwierig. Und sehr anstrengend." Komm endlich zum Punkt, alter Barsch! denkt sich der junge Molch. "Ich habe damals zwei Dinge gelernt", setzt der Rotbarsch fort, "Erstens: Wie man Schneckenrücken putzt. Und zweitens: Man weiß nie, wofür etwas gut ist. Ich weiß nämlich bis heute nicht, warum ich das gemacht habe."

Drei Tage später erzählt der Molch einer Molchin von dem Rotbarsch, der in seiner Jugend Schneckenrücken geputzt hat. Zwei Wochen später heiraten die beiden. Sie trug ein weißes Brautkleid mit schwarzen Punkten und sah dabei ein bisschen aus wie ein Dominostein.

Freitag, 16. Juli 2004

Warum sie nicht mehr weinen konnte.

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Fünf Stunden Fahrt waren genug. Er war müde. Vier Gürteltieren hatte er ausweichen können, das Sechste hatte er überfahren. Jetzt saß er im Zimmer eines drittklassigen Motels. Der Teppichboden roch nach Moder, die Klimaanlage surrte und draußen ging langsam die Sonne unter. Er holte sein Tagebuch aus dem Koffer, schlug es auf und begann auf einer neuen Seite mit der Überschrift: "Warum sie nicht mehr weinen konnte." Er wollte alles niederschreiben. Die ganze Geschichte. Wie sie sich kennen gelernt hatten. Damals im Bus. Er wollte von den endlos langen Nächten schreiben, die sie verbracht hatten. Von den tausenden Stunden, die sie wach neben einander gelegen hatten. Von den Millionen Glücksmomenten. Er wollte alles niederschreiben, um zu verstehen, warum sie von einem Tag auf den anderen nicht mehr weinen konnte. Warum sie ... Tock, tock - plötzlich klopfte es an der Türe. Er legte das Tagebuch zur Seite. Wer wusste, dass er hier war? Hatte der Portier etwas vergessen? Hatte er etwas vergessen? "Ich weiß, warum sie nicht mehr weint", hört er von draußen eine Stimme sagen. "Ich weiß, warum." Kopfschüttelnd öffnete er die Türe und stand vor einem Räucherstäbchen, das ihm ungefähr bis zur Hüfte reichte. "Darf ich reinkommen?" Er nickte. "Stört es Sie, wenn ich rauche?" Ohne eine Antwort abzuwarten, hüpfte das Räucherstäbchen ins Zimmer. "Seien Sie nicht enttäucht, dass ich alleine gekommen bin. Aber die anderen sind in Gedanken bei Ihnen. Und was ich Ihnen zu sagen habe, kann ich auch alleine tun." War es betrunken? Was redete dieses Räucherstäbchen da? "Nein, ich bin nicht betrunken - falls Sie das jetzt denken. Glauben Sie mir, das macht alles Sinn. Für sich gesehen. Bleiben wir aber bei Ihrer Geschichte, einverstanden?" Ohne zu wissen warum, nickte er wieder zustimmend. "Sie lieben sie, nicht wahr?" Es war eine rhetorische Frage. Natürlich liebte er sie. Sonst wäre er ja nicht hier. Sonst hätte er nie dieses Tagebuch schreiben wollen. Sonst wäre er schon längst zuhause. "Setzen Sie sich und hören Sie zu." Das Räucherstäbchen ging zum Wandschrank, öffnete ihn und holte eine kleine Elektro-Orgel hervor. Wo kam die denn her? Die Luft im Zimmer war inzwischen durchzogen von dicken Rauchschwaden. Der Duft erinnerte ihn an etwas - er konnte nur nicht sagen, was es war. Das Rächerstäbchen setzte sich zu ihm auf das Bett, schaltete die Orgel ein und begann zu singen:

"Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König."

Zack, aus. Kaum hatte das Räucherstäbchen die Zeile fertig gesungen, sprang es auf und warf die kleine Orgel gegen Wand. Mit einem lauten Knall zerbrach sie in tausend Teile. Sogar ein kleiner Funke war zu sehen. "WEISST DU, WARUM SIE NICHT MEHR WEINEN KANN?! WEIL DU IN EINEM MOTEL IM NIRGENDWO SITZT UND EINEM RÄUCHSTÄBCHEN BEIM SINGEN ZUHÖRST! DU MACHST UNUNTERBROCHEN SOLCHE DINGE. DU GRÜBELST UND DENKST, ABER DU FÜHLST NICHT MEHR! DU SUCHST GRÜNDE IN DER VERGANGENHEIT, KANNST ABER NICHT MEHR ÜBER DAS JETZT WEINEN. DU HAST DAS WEINEN VERLERNT. UND DAMIT IHRES GESTOHLEN. WAS KOMMT ALS NÄCHSTES?! WILLST IHR DAS LACHEN NEHMEN? HÖR AUF, ZU DENKEN. FÜHLE! UND LASS WEINEN, WER WEINEN WILL. VOR ALLEM, WENN ES DU BIST." Das Räucherstäbchen begann zu husten. Wahrscheinlich hatte es in der Aufregung ein bisschen von seinem eigenen Rauch eingeatmet. Es klopfte sich auf seine Mitte und lief bei der Tür hinaus.

Er begann zu weinen.
Dann zu lachen.
Dann fuhr er nach Hause und gab ihr das Weinen zurück, das er ihr gestohlen hatte.

Dienstag, 13. Juli 2004

Sie erzählt.

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Sie erzählt, sie hätte mit dem Vater eines Klassenkameraden geschlafen. Sie erzählt, ihr eigener Vater hat ein Plastikblättchen in der Nase, weil er früher Boxer war und nach ein paar festen Schlägen kein Nasenbein mehr hatte. Sie erzählt, dieses Blättchen sei mittlerweile verrutscht und deshalb schnarche ihr Vater so laut. Während sie erzählt, frisst mir ihr Hund meine Jause aus der Hand. Während sie erzählt, verfängt sich ein Stück Brot in ihrem Lippen-Piercing. Während sie erzählt, sehe ich ihre Zehen und frage mich, wie man abgekaute Fußnägel haben kann. Sie erzählt von ihrem Ex-Freund und von ihrem Job. Sie erzählt, wie man Tee kocht, und warum Coca Cola giftig ist. Während sie erzählt, wirft sie das Gelsenlicht um und das Wachs verteilt sich auf der Wolldecke. Sie erzählt, das passiere ihr immer. Weil sie immer ganz abgelenkt sei, wenn sie etwas erzählt. Ihr Vater war Boxer. Mehr gibt es nicht zu erzählen.

Sonntag, 4. Juli 2004

Elmars 160 Jahre alte Niere.

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Elmar wurde an einem verregneten 6. März im Jahr 1975 geboren. Er hat ein Jahr mit Elvis auf demselben Planeten gelebt, er hat John Lennon noch live im Radio gehört. Als er in die Volkschule kam, war Jimmy Carter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und niemand musste sich für braune Tapeten mit orangefarbenen Blumen genieren. Es war eine merkwürdige Zeit, die schon lange her ist. Denn im Vergleich dazu ist Elmars Fingernagel noch sehr jung. Er ist erst seit Mitte Mai auf dieser Welt und hat noch nie Schnee gesehen. Elmars Barthaare haben sogar noch nicht einmal den letzten Samstag erlebt.
Mit diesem Altersunterschied geht Elmar aber sehr gut um. Denn sollte irgendwas an Elmars Körper eine Frage zur Vergangenheit haben, kann er ihm davon erzählen. Erst kürzlich hat ihn ein Zahn - es war der Dreier rechts oben - gefragt: "Sag wie war das bei deiner Erstkommunion? War das gut?" Und Elmar hat ihm von seiner damaligen Lieblingssfrisur, dem Seitenscheitel, erzählt. Und davon, dass er damals nichts von Inquisition und Zölibat wusste, und deswegen unglaublich stolz war, ein bisschen mehr beim Verein Kirche dabei zu sein. Das hat den Dreier links oben natürlich sehr gekränkt, schließlich fühlt er sich schon seit Jahren zum Buddhismus hingezogen und leidet schon die längste Zeit unter dem Gruppenzwang eines katholisch getauften Körpers - auch wenn Elmar ihm immer wieder versichert, dass das damals kuturelle Gründe hatte, er ein Kind war und ihm heute die religiöse Ausrichtung seines Körpers vollkommen gleichgültig sei.

Seit Mai hat Elmar eine neue Niere, die ihm sein Großvater (ein ehemaliger Wasserflugzeugpilot) gespendet hat. Die Nieren sind die einzigen Organe, die bis zu 160 Jahre funktionsfähig sind. Macht also nichts, dass Elmars Niere fast sechzig Jahre älter ist als er. Macht ja nichts, dass sie den Zweiten Weltkrieg erlebt hat, die erste Mondlandung und Woodstock. Leider erzählt sie nur nichts davon. Alte Organe sind so. Es muss auch schwer sein in einem fremden Körper. Elmars neue Niere ist zum Beispiel erzkatholisch. Sonntags ist sie um 8 Uhr wach. Und sie gratuliert Elmar immer zum Namenstag - nicht zum Geburstag. Denn der Namenstag ist der Ehrentag seines Schutzpatrons, des Heiligen Elmars.
"Bei mir kann ja jeder machen, was er will", murmelt Elmar dann immer.

Dienstag, 29. Juni 2004

Roter Hase, der Fisch ist NICHT im Nest.

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A: Grantiger Igel, Grantiger Igel, der Nordwind schmeckt nicht schuppig. Ich wiederhole: Der Nordwind schmeckt NICHT schuppig. Bestätigen!

B: Hier Hoppelndes Gnu. Grantiger Igel, ist der Vater in der Suppe?

A: Hoppelndes Gnu, hier Grantiger Igel. Negativ. Die Suppe hat keine Wiese!

B: Roter Hase, haben Sie mitgehört?

C: ...

B: Roter Hase, bitte melden!

C: ...

B: Roter Hase, der Fisch ist NICHT im Nest.

C: Hier Roter Hase, bestätige "die Antillope läuft dem Igel in den Storch".

A: Bitte wie?

C: Ich sagte, "die Schlange ist am Teller".

A: Der Gitarrenspieler? Bitte bestätigen!

C: Nein, nein! Funkelnder Rhabarer hat gemeldet, "die Jungfrau läuft im Mondgesang".

B: Verstanden, Ende.

A: Lachendes Kamel, Ende.

Freitag, 25. Juni 2004

Das nächste Lied ist für Polly.

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Man trifft viele Menschen, man hört viele Geschichten. Diese Geschichte ist aber besonders. Obwohl – nein, eigentlich ist sie ganz normal, aber wahrscheinlich deshalb so besonders.

Polly und Edgar sind seit 35 Jahren ein Paar. Nicht weiter ungewöhnlich für Käfer dieser Gattung, aber Polly und Edgar lieben sich noch wie am ersten Tag. Und das kommt selten vor.

Edgar hat in jungen Jahren in einer Band gespielt. Ursprünglich wollten sie sich ja "The Beatles" nennen, was ja eigentlich ganz originell gewesen wäre, aber was sie damals nicht wussten: es gab bereits eine Gruppe mit diesem Namen. Naja, man kann ja nicht alles wissen. Jedenfalls gaben sich die vier Käfer rund um Edgar den Namen "The Dots". Sie spielten auf Dorffesten und in Bierzelten, sie eröffneten Bälle und unterhielten auf Hochzeiten – kurz: Sie waren für eine kleine Käferkombo ziemlich erfolgeich. Legendär war ihr Auftritt beim Fürnberger Feuerwanzenfest. Über 4.000 fliegende Ameisen von den "Hells Ants" machten damals Station im Ort. Es war Sodom und Gomorrha. Und ein Riesenspaß.

Jedenfalls, bei einem dieser Auftritt lernte die damals gerade geschlüpfte Polly Edgar kennen. Und beide verliebten sich auf den ersten Blick. "Als ich in seine schimmernden Facettenaugen sah, war es um mich geschehen", erzählt sie heute noch.

Ende der Achziger zogen Edgar und Polly nach Linz, wo sie dreitausend Larven bekamen. Edgar begann im Vertrieb eines Getränkeherstellers zu arbeiten und beendete damit seine Musikerkarriere.

Was an dieser Geschichte besonderes ist? Es geht ja noch weiter. Schnitt ins Jahr 2004. Edgar, mittlerweile in Pension, steht mit seinen Jungs wieder auf der Bühne. Ein Kornblumenfest in Bludenz. Alle sind sie wieder da. The Dots hauen wieder in die Saiten. Und Polly steht in der ersten Reihe. Für Edgar sieht sie aus wie damals. Wunderschön. Der Käfer seiner Träume. "Das nächste Lied ist für Polly", sagt Edgar mit ruhiger Stimme ins Mikrofon. Somewhere over the Rainbow in der Version der Dots. Gänsehaut.

Mittwoch, 23. Juni 2004

Betreff der Konferenzschaltung: der Huf im Gesicht.

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Es war ja nicht wirklich neu für Fred Reumann. Erst die Nummer wählen, dann den PIN eingeben und schließlich laut und deutlich seine Bürokennung aufsagen. "Bankfried & Reumann Wien", ruft er in den Telefonhörer, um gleich darauf eine Frauenstimme sagen zu hören: "Bankfried & Reumann Wien is joining the conference. Welcome."

Es wurde ein langer Vormittag am Telefon. Die Kunden in Singapur konnten zu wenig Deutsch, um am Gespräch aktiv teilnehmen zu können, und die Partner in Barcelona kämpften zunächst mit der Technik und schließlich mit den Kollegen in Berlin, mit denen sie sich offensichtlich vorher nicht abgesprochen hatten. Reumann war das egal, und das, obwohl es eigentlich sein Baby war, dessen Geburt gerade vorbereitet werden sollte: Das Wandgemälde im neuen Royal Munkel Hotel.

"Eine Reiterstatue aus Makramee", hatte Reumann bei der Präsentation noch vor Augen. "Semmelgrüne Wolle, neun Meter hoch — ein Monument, meine Herren, ein Monument!"

Jetzt, drei Jahre später, war nur noch der Reiter übrig geblieben. Mit Öl sollte Reumann ein Bild in die Eingangshalle des Royal Munkel malen. Und nicht wie ursprünglich geplant ein Reiter mit Rückenflosse und Clownnase, sondern einer nach dem Vorbild Prinz Eugens.

"Und können wir das so machen, dass das Pferd einem Bauern den Huf ins Gesicht setzt?" Reumann schreckte auf. Wer macht denn so einen Vorschlag? "Verstehen Sie? Huf-im-Gesicht, ein Wortspiel!" Das mussten die Geldgeber aus Singapur sein. Ein Wortspiel? Huf-im-Gesicht? "HERVORRAGEND!" hörte Reumann sich selber sagen. "So machen wir das! Auf Wiederhören!" Und er knallte den Hörer aufs Telefon.

Das Gemälde ist nun rund um die Uhr in der Eingangshalle des Royal Munkel zu bewundern. Gleich wenn man reinkommt, links. Der Huf ist zwar nicht ganz im Gesicht des Bauern — eher knapp davor —, aber die Chinesen waren hin und weg. "Huf-im-Gesicht! Huf-im-Gesicht!" haben sie sich bei der Eröffnung immer wieder zugerufen, um gleich darauf einen Lachanfall nach dem nächsten zu erleiden. Der Botschafter hat auch mitgelacht. Fred Reumann war ab 22 Uhr betrunken und unansprechbar.

Dienstag, 15. Juni 2004

Das Lachen einer Zecke.

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Es war ein schöner Tag, ich habe ihn im Freien verbracht. Und ich dachte, ich hätte diesen Tag alleine verbracht. Aber das war ein Irrtum. Eine kleine Zecke war die ganze Zeit mit von der Partie. So klein, dass ich sie stundenlang huckepack getragen habe, ohne es zu merken. Es war eine sehr schlanke Zecke. Und am Abend habe ich sie gebeten zu gehen. Aber sie hatte ihren Kopf schon tief in meine Schulter gesteckt konnte mich daher nicht mehr hören. Also habe ich sie mit einer Pinzette am Hinterteil gefasst - nur um sie vorsichtig so weit herauszudrehen, dass ihre Ohren wieder frei sind und ich mich zumindest mit ihr unterhalten kann. Naja, was soll ich sagen, der Kopf blieb drin. Genau genommen, nicht der ganze Kopf, sondern nur ihr Gesicht.

Man kann sich vorstellen, wie es mir dabei ging. Und noch schlimmer - wie es der Zecke dabei ging.

Ich habe am nächsten Tag ein Blick auf das Gesicht in meiner Schulter geworfen und selten noch ein so fröhliches, von allem Bösen dieser Welt unbeeindrucktes Lachen gesehen. Woran hat die Zecke wohl gedacht, als ich ihr den Körper vom Gesicht riss? An ihre Familie? Daran, wie glücklich sie ist, eine Zecke sein zu dürfen? Dachte sie an ihren Lebensgefährten? An einen Witz, der ihr einmal erzählt wurde? An den letzten Urlaub? An den nächsten? Ist es das warum überhaupt wichtig? Vielleicht brauchen Zecken keinen Grund, um zu lachen.
Vielleicht lachen sie einfach so. Weil sie es nicht besser wissen.
Oder eben doch.

Mittwoch, 9. Juni 2004

Gedanken eines Denkmals.

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Ein kluger Mann hat einmal gesagt, das Wort Denkmal sollte eigentlich als Imperativ verstanden werden. Nun stehe ich hier. In schwindelerregender Höhe. Ich kann von hier bis zum Meer sehen. Ich kann 30 Kilometer weit sehen. Ich weiß, was hinter dem Horizont steckt. Nein, ich weiß es nicht nur, ich kann es auch sehen. Aber ich werde nie mehr dorthin gehen können. Das würden sie nie zulassen. Sie haben mich hierher gestellt, um sich zu erinnern, dass es hinter dem Horizont etwas gibt, was sie von hier nicht sehen können. Ich muss für sie in die Richtung zeigen, in die ich sehen kann. Dorthin, wo sie nie hinkommen werden. Dazu schauen sie mich an. Nur ein Idiot schaut auf den Finger der zum Himmel zeigt. Aber wollen sie überhaupt wissen, was es noch alles gibt? Nein. Wer will so scharfe Augen haben, dass er nicht nur die Blumen auf der Wiese, sondern auch die Toten in der Erde darunter sieht?

Ich habe zu viel Zeit zum Nachdenken. Verdammt, hätte ich die englische Flotte doch nie befehligt. Wäre ich doch kurzsichtig geblieben.

Freitag, 14. Mai 2004

Die letzten Sekunden der Mission Eukanuba.

(Zum Ansehen des Filmdokuments Link anklicken.)

Mein Sohn, eines Tages wird des alles dir gehören. Captain Strohmann war schon seit Jahren mit diesem Satz schwanger. Erst recht, seit er diesen Zeichentrickfilm gesehen hatte, wo ein Löwe mit seinem kleinen Nachkömmling auf einem Felsvorsprung sitzt, mit seiner Tatze auf die Savanne deutet und so etwas wie "Everything the light touches is our kingdom" murmelt. Erhebend. Captain Strohmann war natürlich klar, dass er als Leiter der Mission Eukanuba und damit als erster Mensch auf dem Planeten Euka etwas vollkommen anderes in sein Funkgerät sagen musste. 2 Milliarden Erdenbürger würden seine Worte vernehmen, und kein einziger davon hätte verstanden, wenn der Missionsleiter seinem Sohn einen Planeten schenkt, der ihm ja nicht einmal gehört. Wahrscheinlich hätte ihm bei der Rückkehr auch die Bodenkontrolle Schwierigkeiten gemacht. Probleme, die er nicht brauchen konnte, zumal er eigentlich sowieso nicht fliegen wollte. Kommerzialrat Leukoplast, ein Nachfahre der berühmten Klebeband-Dynastie, hatte ihn bei einem Mittagessen dazu überredet. "Unsterblichkeit" hatte ihm der Kommerzialrat damals versprochen. "Wenn Sie gestorben sind, wird sich ihre Frau vielleicht an Sie erinnern und wenn Sie Glück haben, sogar Ihre Kinder. Aber schon die Kinder Ihrer Kinder werden nicht mehr wissen, wer ihr Großvater war. Wenn Sie jedoch diese Mission leiten, dann wird man sich ewig an Sie erinnern und Ihr Name wird noch tausend Jahre in den Köpfen und auf den Lippen der Menschen sein." Kommerzialrat Leukoplast kannte Captain Strohmanns Vater noch aus Vietnam. Nicht aus dem Krieg, sondern von einer gemeinsamen Bootstour mit Sarafi-Reisen. Auch solche Männerfreundschaften können verbinden - wahrscheinlich fühlte sich Leukoplast deswegen dem jungen Strohmann so verbunden.

Die Landung auf Euka verlief reibungslos. Strohmanns Ko-Pilot Kurt Vogler verlor zwar für ein paar Augenblicke das Bewusstsein, aber das war auch schon auf der Erde manchmal passiert - zuletzt bei der Verabschiedung durch den Vizepremier. Eigentlich ein peinlicher Zwischenfall, aber da auch die Investoren des Projektes und Presseleute aus der ganzen Welt anwesend waren, taten alle so, als ob alles vollkommen nach Plan liefe.

Zwei Stunden nach dem Aufsetzen der Landekapsel konnten Strohmann und Vogler die Planetenoberfläche betreten. Da Strohmann noch immer keinen geschichtsträchtigen Satz parat hatte, beschloss man zunächst bis zur nächsten Anhöhe zu gehen und dort ein Statement abzugeben.

Vogler trug die Kamera, Strohmann ging voraus. Plötzlich ging alles Schlag auf Schlag. Vogler erinnerte sich an eine Aussage von Strohmann während der Ausbildungszeit. Was ihm damals wie eine nebensächliche Bemerkung vorkam, begann ihn jetzt zu kränken. Vogler hatte bei einem Simulationsflug die Höhenkontrolle mit der Temperaturanzeige verwechselt und die Landungskapsel senkrecht in den Boden gerammt. Der klassische Fehler eines Legastenikers. Strohmann hatte in diesem Moment aber wenig Verständnis und meinte: "Vogler, Sie sind dumm wie Brot!" Vogler, der seit seiner frühen Jugend an Schwerhörigkeit leidete, dachte, er habe nicht richtig gehört. Aber jetzt auf der Planetenoberfläche fiel es ihm wieder ein, und er musste plötzlich schrecklich weinen. Die Kamera noch auf Strohmann gerichtet brach aus ihm der ganze Weltschmerz heraus. Strohmann drehte sich um, Vogler senkte die Kamera Richtung Boden.

In diesem Moment implodierte entgegen allen Berechnungen der Stern GT200 und riss den Planeten Euka in ein schwarzes Loch. Die letzten Bilder, die Vogler sendete, gingen um die Welt und nie hat sie jemand vergessen.

Aber wer ist Strohmann?

Dienstag, 11. Mai 2004

Der Vogel auf dem Keilriemen.

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(Wiedergabe.)

Alles geht schief. Ich nehme nicht oft Anhalter mit, obwohl ich noch selten schlechte Erfahrungen damit gemacht habe. Aber mit den Jahren habe ich irgendwie die Lust daran verloren. Heute war ich im Burgenland, wo ich einen Jungen auf einem Pferd gesehen habe, der meint, die großen Blätter auf seinem Schulweg wären fleischfressend, und daher könne er auf keinen Fall mehr in die Schule gehen. Jedenfalls hab ich auf dem Rückweg die A3 genommen und kurz vor der Auffahrt bei Wulkaprodersdorf ein Gruppe Störche aufgelesen, die unbedingt auf die Berufsinformationsmesse nach Wien wollten. Zwei Kilometer weiter ist dann noch ein Tonis Freilandei eingestiegen.

(Vorspulen.)

Während ich mich also um die Sauerei kümmere, die Tonis Freilandei auf dem Beifahrersitz gemacht hat, spielen die Störche auf der Rückbank Uno.

(Stopp-Taste.)

Mittwoch, 5. Mai 2004

Pinocchios Schwester.



Schon in der Schule hat sie gesagt, das liege in der Familie. Und sobald sie das Geld beisammen hat, würde sie sich ihre Nase operieren lassen. Sie hat sich oft gefragt, warum sie? Sogar in ihr Tagebuch hat sie diesen Satz geschrieben. Warum ich?

Manchmal hat sie es als Aufgabe gesehen, damit umzugehen. Ihre lange Nase zu akzeptieren, mit ihr zu leben. Sie hat versucht Größe zu zeigen, und nicht darüber zu reden. Oder erst recht darüber zu sprechen. Sie hat die Nähe von Menschen gesucht, die auch solche Nasen haben. Und sie hat sich wieder distanziert, und gemeint, sie sei nicht so. Bei ihr sei diese Nase einfach so gewachsen, ohne Bedeutung. Manchen Menschen ist ihre Nase gar nicht aufgefallen. Weil diese Menschen auf so etwas nicht achten. Es ihnen egal war. Oder weil die Nase gar nicht so groß erscheint, wenn sie den Kopf in einem ganz bestimmten Winkel hält. Und sie hat diese Kopfhaltung lange Zeit geübt. Vor dem Spiegel. Und im wahren Leben. An Menschen getestet. Nicht nur einmal ist sie selbst erschrocken, wie sie gemerkt hat, wie berechnend sie andere verwendete, um ihr Gebrechen zu verarbeiten. Aber in diesen Momenten hat sie sich auch gleich wieder beruhigt, mit dem Vorsatz, dafür anderen Menschen gegenüber alles wieder gutmachen zu können. Mit den getesten Kopfhaltungen. Bei diesen Tests hat sie viele Freunde verloren. Ein Grund mehr, konzentrierter zu arbeiten. Im Fluss wechselt man nicht die Pferde. Sie hat sich ganz fest vorgenommen, den Pferden eine Sonderration Karotten zu geben, wenn sie durch den Fluss durch sind. Sie hat nicht bemerkt, dass sie den Fluss nicht durchquert, sondern mit ihm mittreibt. Ihr Ziel war nicht das Ufer, sonder das Meer.

Pinocchios Schwester hat über die Jahre ihre Nase mehrmals operieren lassen. Sie blieb so groß wie zu Beginn. Dabei hätte sie einfach nur aufhören sollen, zu lügen.

Tobias Federsel

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dass der tobi so gut singen kann! laß doch die werbung...
mania (Gast) - 5. Jan, 20:12

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